Die Angst vor dem Regenbogen
Wochenblatt-Mitarbeiter Tobias Bindhammer über Homophobie
FRIESLAND/WILHELMSHAVEN –
„Schwuchtel.“ – So hat mich kürzlich eine ältere Dame mit Rollator und gelbweißen Haaren in Jevers Altstadt beschimpft. Tatsächlich bin ich bisexuell, das bedeutet, ich finde sowohl an Frauen als auch an Männern Gefallen. Überhaupt spielt für mich die Frage nach der sexuell geschlechtlichen Prägung allenfalls eine untergeordnete Rolle. Ich könnte mich über solche Menschen wie die alte Dame aufregen, denn ich denke dabei an jene, die damit nicht so leicht umgehen können und sich aus Angst vor genau dieser Art von gesellschaftlicher Ächtung verstecken.
Wissen solche Pöbler, was sie damit anrichten, wenn sie jemanden als „Schwuchtel“ bezeichnen? Mittlerweile kann ich mit meinen 21 Jahren damit umgehen, aber das war nicht immer so. Es hat mich innerlich zerrissen. Wissen Sie, wie es ist, wenn Menschen sich aufgrund der sexuellen Orientierung weigern, einem die Hand zu geben? Ich habe mich oft gefragt, was falsch mit mir ist und dabei Tränen aus Kummer und Wut immer wieder runtergeschluckt, da ich denen den Triumph nicht gönnen wollte. Fünf Jahre lang habe ich mich selbst verleugnet, nur um nicht aus dem gesellschaftlichen Raster zu fallen.
Was ist eine „Schwuchtel“? Anders als die Vorurteile einiger Idioten mir nachsagen, habe ich kein Aids, spreche nicht nasal. Ich trage grau gefärbte Haare, figurbetonte Jeans, tanze und spiele Theater. Darüber hinaus esse ich blutiges Steak, baue Schränke auf, und bei Sekt oder Wodka bevorzuge ich das harte Gesöff. Und all das sagt über die sexuelle Orientierung rein gar nichts aus.
Ich möchte für Menschen eintreten, die sich nicht outen können. Weil sie sich nicht trauen, weil ihre Eltern homophob oder sehr konservativ sind. Die Angst vor dem Outing kann viele Gründe haben. Auch ich hatte Angst, mich meinen Eltern zu offenbaren. Und tatsächlich war meine Mutter wütend. Aber eigentlich nur darüber, dass ich ihr erst so spät davon erzählt habe. Angst zu haben, dass das Kind homosexuell ist, das haben 40 Prozent der Befragten einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes angegeben. Was sich für meine Mutter geändert hat, als ich mich outete? Nichts. Was sich für Hetero-Paare geändert hat mit der Einführung der Ehe für alle? Nichts. Was hat sich für mich geändert mit dem Outing? Alles. Ich kann viel offener durch das Leben gehen. Die Beleidigungen auf offener Straße berühren mich nicht mehr. In Ordnung sind Attacken wie die der alten Frau in Jever trotzdem nicht.
Der Autor Tobias Bindhammer (21), wohnt in Wilhelmshaven, studiert Medienwirtschaft und Journalismus an der Fachhochschule Wilhelmshaven. Er beendet diesen Monat sein Praxissemester in der Redaktion des Jeverschen Wochenblatts
Den Autor erreichen Sie unter
redaktion@jeversches-wochenblatt.de
Leserkommentare
Noch keine Kommentare |
Erstelle einen Kommentar
Teilen Sie uns Ihre Meinung mit
Name:
Bitte geben Sie Ihren Namen ein
Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein
Bitte lösen Sie folgende Rechenaufgabe:
Acht + Neun =
Sie haben die Rechenaufgabe nicht richtig gelöst. Bitte versuchen Sie es erneut
Ihr Kommentar wird in Kürze freigeschaltet, bitte haben Sie ein wenig Geduld.
Bitte lesen Sie vor dem Verfassen eines Kommentars unsere Nutzungsrichtlinien
Nutzungsrichtlinien für Leserkommentare
Liebe HARLINGER/WOCHENBLATT-Nutzer,
Sie sind als Kommentatoren auf unserer Seite herzlich willkommen. Bitte beachten Sie, dass Ihre Beiträge erst nach einer – leider erforderlichen – redaktionellen Prüfung freigeschaltet werden können – diese geschieht von Montag bis Freitag zwischen 9 und 18.30 Uhr. Es kann also zu Verzögerungen bei der Freischaltung kommen.
Bitte berücksichtigen Sie folgende Verhaltens-Regeln:
Geben Sie Ihren Vor- und Nachnamen an. Kommentare, die unter „Gast" o.ä. verfasst wurden, werden nicht veröffentlicht. Seien Sie fair. Bitte achten Sie darauf, dass Ihre Kommentare stets sachlich bleiben. Jeder soll und darf seine Meinung und Kritik äußern, solange er das konstruktiv tut. Falsche Anschuldigungen oder Behauptungen sind zu vermeiden und führen andernfalls dazu, dass Kommentare nicht freigeschaltet werden. Beleidigungen werden auf unserer Seite nicht toleriert. Beiträge, in denen Einzelne oder Gruppen gezielt beschimpft werden, werden nicht veröffentlicht.
Meine personenbezogenen Daten werden zum Zwecke der Abwicklung meines Kommentars gemäß der Datenschutzerklärung durch die Brune-Mettcker Druck- und Verlags GmbH verarbeitet. Mit Absenden des Formulars bestätige ich, die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen zu haben.
|
|
Wochenblatt-Ressorts
Top-Services
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Shop |
|
AfH |
|
Kontakt |
|
Rat |
|
Karriere |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
BL-Tipp
|
|
Events
|
|
Blog |
|
Abo
|
|
Meinung |
|